TL;DR: Die europäische Bau- und Immobilienwirtschaft, verantwortlich für rund 40 % des Energieverbrauchs und 36 % der CO₂-Emissionen, ist in den vergangenen Jahren zu einem der zentralen Adressaten der EU-Klimapolitik geworden. Beginnend mit dem Pariser Abkommen (2015) über den Green Deal (2019) bis hin zu den heute geltenden Kerngesetzen (Taxonomie-VO, CSRD, SFDR, EPBD, CPR) wurde ein umfassendes regulatorisches Rahmenwerk geschaffen, dessen Verständnis Unternehmen einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil verschafft. ESG-Konformität ist kein kurzfristiger Trend, sondern entwickelt sich zunehmend zu einer wichtigen Grundlage für Genehmigungen, Finanzierungen und die langfristige Werthaltigkeit von Immobilienprojekten.
Vom Pariser Klimaschutzabkommen zum Green Deal
Wer heute in Immobilien investieren und damit langfristig Geld verdienen möchte, kommt an einem Thema nicht mehr vorbei: Environmental, Social, Governance (ESG). Die Regulatorik rund um das Thema erscheint auf Grund der zahlreichen internationalen und nationalen Übereinkommen, Richtlinien und Gesetzen schnell komplex, unübersichtlich und überbordend. Nachfolgend liefern wir einen kompakten Überblick über die wesentlichen regulatorischen Ecksteine, mit einem besonderen Fokus auf jene mit besonderer Relevanz für die Bau- und Immobilienwirtschaft.
Symbolischer und rechtlicher Startpunkt für die aktuelle Regulatorik auf EU-Ebene ist das Pariser Klimaschutzabkommen aus 2015. Darin haben sich fast alle UN-Mitgliedsstaaten[1] in einem völkerrechtlich bindenden Vertrag dazu verpflichtet, die Erderwärmung auf unter 2 °C gegenüber vorindustriellen Werten[2] zu begrenzen und gleichzeitig die globalen Treibhausgasemissionen bis 2050 auf „Net Zero“[3] zu reduzieren. Das Pariser Klimaschutzabkommen hat die EU als Anlass genommen, im Jahr 2019 den „Green Deal“[4] zu verabschieden und somit die Vereinbarungen aus dem Klimaschutzabkommen auf europäischer Ebene zu verankern, und Maßnahmen sowie Strategien zur Erreichung dieser zu definieren. Der Green Deal setzt ambitioniertere Ziele als das Pariser Klimaschutzabkommen: Beispielsweise die Zielvorgabe, als erster Kontinent Klimaneutralität („Net Zero“) zu erreichen, oder das Zwischenziel, die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken.[5]
Warum ESG-Regulatorik für die Bau und Immobilienwirtschaft relevant ist
Als Teil des Maßnahmenpakets des Green Deals zur Erreichung dieser Ziele wurden Emissionsverringerungsvorgaben für unterschiedliche wirtschaftliche Sektoren definiert. Besonders relevant für die Bau- und Immobilienwirtschaft sind die Vorgaben in den Sektoren Gebäude und Verkehr, sowie in den Sektoren Landnutzung und Abfall. Der Bau- und Immobiliensektor als Querschnittsmaterie unterschiedlicher Sektoren ist für etwa 40 % des Endenergieverbrauchs[6] und 36 % der energiebedingten Treibhausgasemissionen in der EU verantwortlich (Stand 2024). Auf österreichischer Ebene sind die Werte mit respektive 38 % und 23 % etwas niedriger, aber immer noch beachtlich.[7] Diese geringeren Werte im Vergleich zum EU-Schnitt entsteht vor allem durch Österreichs deutlich höheren Anteil erneuerbarer Energie am Strom-Mix (rund 80 % aus Wasser-, Wind- und PV-Kraft) und dem geringeren Anteil von Öl- und Gasheizungen als im EU-Durchschnitt.[8] Ein spannender Aspekt in diesem Zusammenhang ist, dass die energiebedingten Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor zu ca. 75 % im Gebäudebetrieb (v.a. Wärmeversorgung), und ca. 25 % in der Herstellungsphase verursacht werden. Dies unterstreicht die Notwendigkeit von hoher Energieeffizienz bei Neubau- sowie Bestandsimmobilien, um den CO₂-Fußabdruck des Gebäudesektors langfristig zu verringern.
Vom Green Deal zum regulatorischen Alltag
Schritt für Schritt werden auf EU-Ebene regulatorische Maßnahmen zur Erreichung der definierten Ziele aus dem Green Deal erarbeitet und in Kraft gesetzt. Aus der breiten Palette[9] an erlassenen Gesetzespaketen sind im Folgenden die für die Bau- und Immobilienwirtschaft relevantesten kurz beschrieben:[10]
- EU-Taxonomie-Verordnung (TaxVO)
Ein einheitliches Klassifikationssystem, das definiert, wann wirtschaftliche Aktivitäten – wie der Neubau einer Wohnimmobilie – als ökologisch nachhaltig gelten. Dieses Klassifikationssystem soll die Basis dafür bilden, Investitionen durch Transparenz und Vergleichbarkeit vermehrt in grüne Projekte zu lenken. - Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)
Eine EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sie verpflichtet größere Unternehmen[11], über ihre ESG-Maßnahmen zu berichten. Unternehmen, die von der CSRD betroffen sind, haben nach einheitlichen Standards, den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) zu berichten. Die CSRD soll insbesondere eine höhere Transparenz, Vergleichbarkeit und Verfügbarkeit der Nachhaltigkeitsinformationen schaffen und wird auf nationaler Ebene aktuell durch das Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz (NaDiVeG) umgesetzt. - Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR)
Die SFDR verpflichtet EU-Finanzmarktteilnehmer (bspw. Banken, Asset- und Fondmanager, Versicherungsgesellschaften, Pensionskassen) für jedes von ihnen angebotene Finanzprodukt verbindliche ESG-Informationen offenzulegen. Immobilienfonds müssen beispielsweise darlegen, inwiefern ihre Produkte ein nachhaltiges Anlageziel verfolgen und dazu Kennzahlen wie Energieverbrauch, EPC-Klassen oder Taxonomie-Konformität berichten. Dadurch sollen Anleger klare, vergleichbare Angaben zum Nachhaltigkeitsgrad eines Immobilienprodukts erhalten und so fundiert entscheiden können, ob es ihren Nachhaltigkeitsanforderungen entspricht. - Energy Performance of Buildings Directive (EPBD)
Die im deutschsprachigen Raum als „EU-Gebäuderichtlinie“ bekannte Regulatorik definiert Mindestanforderungen in Bezug auf Energieeffizienz von Gebäuden. Die Richtlinie definiert unter anderem, dass Neubauten ab 2030 und Bestandsgebäude ab 2050 als Nullemissionsgebäude („Net Zero Building“) gebaut werden müssen und im Gebäudebetrieb damit netto keine Treibhausgasemissionen verursachen dürfen.[12] - Construction Products Regulation (CPR)
Als angekündigter, noch nicht vorliegender Rechtsakt, wird die im deutschsprachigen Raum genannte „Bauproduktverordnung“ laut aktuellem Entwurf die Nachhaltigkeitsanforderungen an Bauprodukte erhöhen, sowie verpflichtende Dokumentations- und Kennzeichnungsanforderungen an Lieferanten und ausführende Baufirmen stellen. Ein bereits viel diskutiertes Thema ist die Einführung eines digitalen Produktpasses, der als zentrale Informationseinheit über den gesamten Lebenszyklus eines Bauproduktes hinweg wesentliche technische Informationen enthalten soll.[13]
Grafik 1: Überblick EU-Regulatorik für nachhaltige Immobilien (Mai 2025)
Die wachsende Relevanz von ESG für den Immobiliensektor
Im ersten Schritt bedeutet der wachsende Umfang an ESG-Regulierungen erstmal Mehraufwand für die Bau- und Immobilienwirtschaft. Unternehmen müssen zusätzliche Daten erheben, Prozesse an ESG-Kriterien anpassen und sich mit neuen Standards bzgl. Energieeffizienz, CO2-Impact und Berichterstattung vertraut machen und diese erfüllen.
Die neuen Auflagen sind dabei kein vorübergehender Trend, sondern ein langfristiger gesellschaftlicher & regulativer Wandel, der mittlerweile im Rahmen des European Green Deals und der diversen Gesetzespakete auf EU- & Nationaler-Ebene fest verankert ist. Gebäude verursachen rund 40 % des europäischen Energieverbrauchs und mehr als ein Drittel der CO₂-Emissionen und stehen damit langfristig im Mittelpunkt jeder Dekarbonisierungsstrategie.
Weiter gedacht bietet diese nachhaltige regulatorische Veränderung große Chancen für jene Unternehmen die sich rasch und effizient an die neuen Rahmenbedingungen anpassen. Die Gewissheit das die Regulatorik “gekommen ist, um zu bleiben” und wenn dann nur weiter verschärft wird, gibt uns als Sektor die notwendige Sicherheit um unser langfristigen strategischen Entscheidungen entsprechend auszurichten.
Langfristig wird die ESG-Konformität von Immobilienprojekten maßgeblich über die Attraktivität insbesondere für institutionelle Eigen- & Fremdkapitalgeber entscheiden. Erste Ausprägungen dieses Trends spürt man schon heute. Projekte, die die neuen Standards verfehlen, riskieren verzögerte Baugenehmigungen, geringere Förderquoten, höhere Finanzierungskosten oder gar die Einstufung als „Stranded Assets“ – mit spürbaren Wertabschlägen bei Verkauf und Refinanzierung. Umgekehrt schaffen ESG-Konformität Zugang zu Green Bonds, zinsbegünstigten Darlehen, steuerlichen Anreizen und einer wachsenden Nachfrage seitens Investoren, Mieter:innen und der öffentlichen Hand. Im Rahmen unserer anstehenden Blogreihe, werden wir uns noch ausführlicher mit den Vor- und Nachteilen ESG konformer Immobilien für Investoren beschäftigt.