TL;DR: Nach jahrzehntelangem Wachstum und Bauen, ganz nach dem Motto „höher, schneller, weiter“, zeichnen sich aktuell veränderte Rahmenbedingungen ab: Knappe Ressourcen, steigende Baukosten, Klimakrise und veränderte gesellschaftliche Bedürfnisse. Statt dafür immer mehr Fläche zu verbauen und neues Material für Neubau und Sanierung einzusetzen, rückt daher die Frage der Suffizienz im Bauwesen in den Vordergrund: „Was brauchen wir wirklich – und was genügt?“
Suffizienz als Leitmotiv für den Bau der Zukunft
Das Konzept der Suffizienz im Bauwesen hinterfragt, was wirklich notwendig ist, um Lebensraum für Menschen zu gestalten. Suffizienz leitet sich aus dem lateinischen Wort „sufficere“ ab, zu Deutsch „ausreichen“ oder „genügen“. Im Immobilienkontext bedeutet es, das Notwendige mit geringstmöglichem Ressourceneinsatz zu erreichen, ohne dabei in weiterer Folge Qualität oder Nutzerzufriedenheit zu mindern. Suffizienz ist nicht gleich Verzicht, sondern ein intelligenter und nachhaltiger Umgang mit dem, was vorhanden ist – und damit ein entscheidender Schlüssel für die Transformation der Immobilienwirtschaft. Kosten können reduziert, Ressourcen geschont werden. Zeitgleich sollen komfortable Wohn-, Freizeit- und Arbeitsräume geschaffen werden, die für die Menschen langfristig lebenswert, flexibel und zukunftssicher sind.
Suffizienz in der Praxis
Suffizienz ist kein politisches Thema, das durch Gesetze vorgeschrieben wird, sondern ein philosophisches: Wie viel Wohnraum soll einer Person zur Verfügung stehen? Ist es noch immer nötig, weitere Grünflächen zu versiegeln? Muss alles an Materialien, was wir für Sanierung und Bau verwenden, neu sein oder kann man Bestehendes erhalten?
Laut einer Studie des Competence Center Process Management Real Estate[1] liegt die gewünschte Wohnfläche pro Kopf etwa deutlich unter dem aktuell tatsächlichen Wert. Die Studie untersuchte auch weitere Chancen, die sich aus einer Vereinfachung von Gebäuden und einer Komplexitätsreduktion der Immobilienbranche ergeben. Beispielsweise werden sich auch Büroflächen künftig deutlich reduzieren, wegen eines geringeren Flächenbedarfs durch Homeoffice und KI, und Quartiere werden als gemeinschaftlicher Lebensraum in Städten an Bedeutung gewinnen.
Nachhaltiger Wohnbau durch Suffizienz statt Effizienz
Eng mit Suffizienz verbunden ist der Begriff Effizienz, die jedoch, im Gegensatz zur Suffizienz, nicht die Notwendigkeit des Ergebnisses hinterfragt. Was als „notwendig“ gilt, bleibt individuell unterschiedlich und situationsabhängig. Wenn es etwa um leistbares Wohnen geht, muss darüber gesprochen werden, was wirklich gebraucht wird, um neuen Ressourcenverbrauch und übermäßige Investitionen zu vermeiden, aber dabei gleichzeitig Qualität und Wohlbefinden zu erhalten. Beispielsweise kann man evaluieren, ob es wirklich 100%igen Schallschutz oder die teuerste Innenausstattung braucht, oder ob die Nutzer:innen eines Gebäudes eher von geringeren Baukosten oder weniger Sanierungsaufwand profitieren. Auch wenn Bau- und Sanierungsprozesse immer emissionseffizienter werden: Die meisten CO2-Einsparungen können dadurch erzielt werden, indem etwas nicht abgerissen oder recycelt, sondern erhalten und ertüchtigt wird. Gerade Wohnhäuser aus den 1970er- und 80er-Jahren können durch Sanierung energieeffizient werden und den Bewohner:innen geringere Betriebskosten ermöglichen.
Ein weiterer Faktor für die erfolgreiche Umsetzung von Suffizienz ist der Zweck des Gebäudes und die strategischen Pläne für dessen Nutzung. Wird ein Gebäude für leistbaren Wohnbau saniert oder errichtet, sind andere Betrachtungen der Suffizienz nötig als bei Gebäuden, die Investor:innen begeistern sollen. Suffizienz stellt die Frage, ob und welche Investitionen in diesen Zusammenhängen notwendig sind. Es geht nicht um Verzicht, sondern um bewussten Umgang mit Ressourcen und die genaue Betrachtung der jeweiligen Bedürfnisse, die ein Gebäude erfüllen muss. „Es geht nicht um weniger Komfort, sondern um mehr Sinn. Nur so kann eine nachhaltige Verbesserung unserer gebauten Umwelt entstehen“, so Peter Engert, Geschäftsführer der ÖGNI (Österreichische Gesellschaft für nachhaltige Immobilienwirtschaft).
Suffizienz gemeinsam umsetzen
Die einzelne Betrachtung eines jeden Gebäudes, jeder Sanierung oder jedes Projekts „für sich“ und seine Nutzer:innen bringt einen hohen Planungsaufwand mit sich. Daher ist es wichtig, dass Gebäude im Kontext ihrer Umgebung betrachtet werden. Wenn ein Gebäude nicht nur seinen Nutzer:innen, sondern auch seiner Nachbarschaft dient, können Betriebs- und Investitionskosten für das gesamte „Grätzl“ gesenkt werden. Mit einem gemeinsamen Konzept kann nicht nur die ökologische und ökonomische, sondern vor allem auch die soziale Nachhaltigkeit verbessert werden und das gesamte Quartier profitiert. Während nämlich manche Maßnahmen für Einzelgebäude umsetzbar sind, wie z.B. der Schutz von Dach und Photovoltaik vor Sturm- und Hagelereignissen, muss etwa bei Maßnahmen gegen die Überhitzung von Stadtgebieten oder der Schutz vor Hochwasser und Starkregenereignissen die Umgebung mitbedacht werden. Es gilt, Kooperationen zu bilden und gemeinsame Investitionen zu unternehmen.
Mehrwert durch Flexibilität: Modulbau als Zukunftsmodell nachhaltiger Immobilien
Ein vielversprechender Lösungsansatz in diesem Zusammenhang ist das modulare Bauen: Eine Bauweise, die Suffizienz und Effizienz im Bauprozess verbindet. Hier wird nicht jedes Bauprojekt einzeln und neu betrachtet, sondern – unter Berücksichtigung der besonderen Rahmenbedingungen des Standorts – auf seriell gefertigte Elemente zurückgegriffen. Das Bauverfahren setzt auf das Baukastenprinzip und serielle Vorfertigung. Dabei entstehen in witterungsunabhängigen Produktionshallen bereits nahezu fertige Module inklusive Dämmung, Böden, Fenster, Wasser- und Elektroinstallationen. Diese werden vor Ort nur noch zusammengesetzt, was die Lärm- und Schmutzbelastung auf der Baustelle auf ein Minimum reduziert, Kosten verringert und vor allem die Bauzeit massiv verkürzt. „Unsere Module sind zu 95 % fertig, wenn sie geliefert werden. Die Bauzeit vor Ort beträgt zwei bis drei Monate statt 20–24“, erklärt Lukas Schermann, Geschäftsführer der Module One Bau GmbH gegenüber der NÖN.[2] Auch Investor:innen profitieren, wie Rafael Lughammer, Managing Partner der LZH Group, betont: „Die kurze Zeitspanne zwischen Vertragsabschluss und Fertigstellung bringt uns Kostensicherheit.“
Fazit: Warum Suffizienz der Schlüssel für die Transformation der Bau- und Immobilienbranche ist
Suffizienz im Bauwesen ist weit mehr als ein neuer Trend – sie ist ein zukunftsweisendes Prinzip für nachhaltiges Bauen und Sanieren. Indem wir schon in der Planungsphase hinterfragen, was tatsächlich notwendig ist, können wir Ressourcen schonen, Kosten senken und gleichzeitig Lebensqualität sichern. Suffizienz fordert auf, den Ressourcenverbrauch zu hinterfragen und den Zweck des Gebäudes – sei es ein Wohngebäude, ein ganzes Quartier oder ein Bürokomplex – in den Fokus der Überlegungen zu setzen. Es geht um die intelligente Reduktion auf das Wesentliche, auf das sich die Bau- und Immobilienbranche konzentrieren sollte: Lebenswerte und zukunftsfähige Räume sowie resiliente Gebäude zu gestalten, die nicht nur heutigen, sondern auch kommenden Generationen gerecht werden.
© Hawlik Gerginski Architekten ZT GmbH | ein Projekt der Kollitsch Gruppe